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SeeMagazin 2018

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  • Starnberg
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„Entspannt am See!" lautet das Motto der Ausgabe 2018. Wie das am besten gelingt, wollen wir mit besonderen Geschichten und Insider-Tipps aus der Region zeigen. Auch dieses Mal hat die Redaktion wieder viele interessante und kreative Persönlichkeiten rund um die Seen getroffen.

SeeMensch Ist unsere

SeeMensch Ist unsere Welt noch zu retten, Herr Jaenicke? Die Antwort muss natürlich „ja“ heißen, trotz aller Skepsis und meinem gesunden Pessimismus. Sonst wäre ja alles, was wir tun, völlig sinnlos. Auch wenn zurzeit in der Weltpolitik, im Sozialen, beim Schutz der Umwelt, in den Entwicklungs- und Schwellenländern vieles in die falsche Richtung läuft: Man soll und darf nie aufgeben. Was ist denn schuld an all dem, was uns Angst macht? Menschlich betrachtet unsere Gier, unsere Bequemlichkeit und unsere Kurzsichtigkeit; politisch ein falsches Wachstumsmodell und der Raubtierkapitalismus, der eigentlich überall ungehindert durchregiert. Hat sich unsere Gier im Laufe der Zeit verändert? Ja. Der Mensch hat bis zur industriellen Revolution ja eher nachhaltig gelebt. Kleines Beispiel: Aborigines haben immer Schildkröteneier gegessen. Sie haben also gewartet, bis die Lederschildkröte an die Strände kam und 90 Eier in einem Loch verbuddelt hat. 30 haben sie genommen und 60 übrig gelassen. Weil sie im Jahr darauf wieder Schildkröteneier essen wollten. Der weiße Kapitalismus britischer Prägung hat dieses Konzept radikal verändert. Der holt alle 90 Eier raus, macht sie schnell zu Geld und sucht sich die nächste Schildkröte, die 90 Eier abdrückt. Ist unsere Gier eine andere als in den USA oder China? Wir leben in einer globalisierten Welt, und die Chinesen, die ja angeblich kommunistisch sind, haben unsere Jagd nach Rendite und schnellem Geld eins zu eins kopiert, wenn nicht sogar verschärft. Die Völker, die das nicht akzeptieren wollten – die indigenen Völker –, haben wir ausgerottet oder ihre Kultur zerstört. Sie sind die Verlierer, von denen wir vieles hätten lernen können. Sie, Herr Jaenicke, scheinen ja ein Gewinner zu sein. In Südkalifornien wohnen Sie direkt am Meer, hier in Utting in einer umgebauten Scheune am Ammersee. Wie gut, dass es Paradiese wie diese gibt, oder? Ohne diese Fluchtorte käme ich nie zur Ruhe und hätte vermutlich längst ein fettes Burn-out. Ich lebe relativ schnell, arbeite zu viel. Hier komme ich zum Verschnaufen, und wenn es nur eine Nacht ist und ein Frühstück hier am See. Das tut so gut. Der Ammersee ist eine Oase für mich, eine Oase der Ruhe, der Natur und der Energie. Es gibt noch Orte auf der Welt, an denen die Menschen das zu schätzen wissen. Und das ist lustigerweise an so provinziellen Fleckchen wie hier am Westufer viel eher der Fall als in urbanen Gegenden. Haben Sie sich den Wohnsitz hier ganz gezielt gesucht, um an den irdischen Zuständen nicht zu verzweifeln? Nein, es war ein reiner Unfall. Eigentlich wollte ich in Fuß- oder Fahrraddistanz zu unserem Produktionsbüro in Nordschwabing wohnen und habe im Jahr 2007 mit drei Maklern sieben Monate lang gesucht und bin immer so bei 1800 Euro warm für 70 hässliche Quadratmeter gelandet. Einer der Makler schlug dann vor, mir mal das Umland zu zeigen, mit vier Mietwohnungen am Ammersee. Eine in Schondorf, zwei in Dießen, eine in Stegen. Die lagen in etwa bei der Hälfte der Münchner Preise, wobei ich erst mal Bammel vor der ganzen Pendelei hatte. Aber ich habe dann trotzdem etwas übermütig gefragt: „Gibt’s vielleicht noch irgendwas direkt am Wasser?“ Der Makler hat mir dann von einer Bauruine erzählt, dieser Scheune hier. Zusammen mit den unglaublich netten Vermietern habe ich eine vergleichsweise spartanische Sanierung vereinbart. Eigentlich sollte das hier eine Luxuswohnung werden. Es ist der schönste Unfall, der mir je passiert ist. Jetzt pendle ich brav mit meinem Elektroauto, einem mit Ökostrom betriebenen i3 von BMW, ins Büro in der Stadt. Oder mit dem Motorrad, je nach Verkehrs- und Wetterlage. Aber ohne Wasser geht’s nicht, oder? Ganz schlecht. Ich habe in Köln schon direkt am Rhein gewohnt. Vielleicht liegt es ja auch an meinem Sternzeichen, auch wenn ich nicht besonders an Astrologie glaube. Ich bin Fisch, Aszendent Krebs – beides Wasserzeichen. Ich war schon als Anderthalbjähriger nicht aus dem Meer zu kriegen. Meine Oma ist mit uns immer an die Nordsee gefahren, nach Domburg in Holland. Ich bin eine absolute Wasserratte. Die einzigen Sportarten, die mich interessieren, sind Surfen, Kiten, Windsurfen und Segeln. Von welcher Perspektive aus ist der Ammersee denn schöner, vom Wasser oder an Land? Beides ist toll. Meinen Kaffee trinke ich morgens am liebsten in einem Sessel mit Blick auf den See. Das macht mich schon glücklich. Aber ich kann einfach nicht ohne Wasser. Ich habe ein SUP-Board, ein Kanu und bin Mitglied nebenan im Augsburger Segler-Club. Es gibt Leute, die sagen, der Ammersee sei ein Bauernsee ohne Allüren geblieben. Stimmt das? Am Westufer ja, am Ostufer nein. Leider wird aber auch diese Gegend hier immer mehr gentrifiziert und aufgeschickt. Als ich hierhergezogen bin, hatten wir in Utting fünf Bauernhöfe, jetzt keinen einzigen mehr. Es gab damals keinen Porsche hier, jetzt stehen die im Dorf über- 38

SeeMensch Er ist Schauspieler, Buchautor und Umweltaktivist. Manchmal sieht der 58-Jährige Jaenicke vor lauter Bäumen kaum noch den Wald. Dann zieht er sich an seine Fluchtorte am Ammersee oder am Pazifik zurück 39