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SeeMagazin 2016

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Im SeeMagazin berichten wir einmal jährlich von besonderen Menschen und Orten aus dem Fünf-Seen-Land. Ein Projekt, das uns schon fast 10 Jahre begleitet und immer wieder begeistert.

SeeGespräch / Thorsten

SeeGespräch / Thorsten Otto Thorsten Otto, 52, wuchs in Weiden auf. Er studierte Jura, bevor er die Reporterund Moderatorenschule des SWF3 besuchte. 1998 kam er zu Bayern 3, wo er viele Jahre das aktuelle Mittagsmagazin moderierte. Seit Oktober 2008 führt er die Radio- Interviews „Mensch, Otto!“ mit bekannten und unbekannten Gästen. 2014 erhielt er den Deutschen Radiopreis der Grimme-Jury für sein Gespräch mit Gaby Sonnenberg, die nach ihrer Krebstherapie das Buch „Der Krankentröster“ schrieb. Im Juli erscheint „Die richtigen Worte finden“, sein anekdotischer Ratgeber für gute Gespräche (siehe auch S. 114). Natürlich liebe ich meinen Job und besitze immer noch die Leidenschaft, herausfinden zu wollen, warum Menschen tun, was sie tun. Aber es kann einen ganz schön auslaugen. Manchmal sind die Geschichten auch bewegend und man bekommt sie nicht so leicht aus dem Kopf. Wenn ich abends nach Hause komme, habe ich oft keine Lust mehr zu sprechen. Und die Familie versucht es dann mit Zeichensprache … Gott sei Dank regeneriere ich schnell. Vor allem beim Sport. Jeden Morgen jogge ich eine Runde am See, etwas Schöneres gibt es nicht. Aber früher warst du fitter. Natürlich, schließlich wollte ich Basketball-Profi werden, habe ein Jahr in der Bundesliga gespielt. Für eine Karriere hat es leider nicht gereicht. Jetzt habe ich kaputte Knochen. Dafür bin ich doch noch ziemlich fit. Zurück zur Ausgangsfrage: Warum tue ich mir das an? Weil ich nicht anders kann! Und es einfach passiert ist. Wie, einfach passiert? Du weißt doch: die Juristenfamilie, mein Vater war Richter. Er konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als irgendwann eine Anwaltskanzlei mit mir zu eröffnen. Ich war 18 und bin nach dem Abitur zum Studium nach Bayreuth gegangen, nicht zuletzt, weil mein Onkel dort Juraprofessor war. Und man dort außerdem Basketball in der Ersten Liga spielen konnte … … genau. Mein Vater zeigte sogar Verständnis dafür, wahrscheinlich, weil er es für eine vorübergehende Marotte hielt. Der Deal war, dass ich mich trotzdem für Jura einschreibe. Die beiden älteren Herren hatten sich das gut ausgedacht. Mal ehrlich, tut es dir nicht manchmal leid? Juristen sind angesehene Leute. Weitaus angesehener als Journalisten und Moderatoren! Aber leid tut es mir nicht mehr. Außer, dass ich die Zeit des Studiums hätte besser nutzen können. Im sechsten Semester habe ich mich endlich gefragt: „Willst du das wirklich? Diese flammenden Plädoyers, von denen du träumst, die gibt es nur in amerikanischen Filmen.“ Das erste Staatsexamen habe ich dann aber doch gemacht. Wieso? Als Absicherung? Nein, weil es sonst zu viel Ärger gegeben hätte. Vielleicht wärst du ja ein ganz passabler Rechtsanwalt geworden. Mag sein, aber dann kam dieser Kurs für Referendare. Ich wusste schon nach dem ersten Tag: Das geht gar nicht! Journalismus dagegen hat mich interessiert. Und weshalb? Weil ich lieber Fragen stelle, als Antworten zu geben. Diese Situation hier jetzt ist für mich weitaus anstrengender, als wenn ich die Bundeskanzlerin befragen müsste. Warum fällt dir das so viel leichter? Weil ich sehr oft mit Humor arbeiten kann. Mit Lachen. Humor öffnet die Menschen. Inklusive der Gefahr, etwas einfach mal wegzulachen. Stimmt’s? 28 SeeMagazin 2016 | www.seemagazin.de

Gut beobachtet. Wenn ich meine Interviews später anhöre, ertappe ich mich manchmal bei Verlegenheitslachern und denke: Da hättest du jetzt besser eine Pause gemacht. Ist doch wie im richtigen Leben … Jemand sagt was, und man weiß nicht, wie man darauf reagieren soll. Also lacht man, dann ist der andere schon mal nicht sauer. Aber bei großen Humoristen und Komödianten kann man lernen, dass sie selber so gut wie nicht lachen. Siehe Loriot. Das ist old-school. Der Mittelweg passt. Aber was anderes: Immer gut drauf zu sein, ist auch eine Falle oder? Ich bin ja nicht immer fröhlich! Man kann das eher mit einem Rennpferd vergleichen. Wenn der Startschuss fällt, gilt nur das Rennen. Jeder hat mal einen schlechten Tag, klar. Aber sobald ich in die Studio-Situation komme, bin ich in einem anderen Modus. Und deine Gäste spielen da mit? Von 100 Gesprächsgästen fallen mir 95 leicht. Bei dreien ist es anstrengend, deshalb aber eine spannende Herausforderung. Und dann gibt es ein bis zwei Kandidaten, die ich später nicht noch einmal mehr treffen möchte. Wer gehört denn zu den Leichten? Alle, die Humor haben. Das sind naturgemäß die meisten Komiker. Und bevor die Frage kommt: Eher selten gehören junge Schauspielerinnen dazu, die noch etwas werden wollen. Und noch viel seltener Moderatorinnen. Jetzt aber Vorsicht … … ist trotzdem wahr. Wenn du jemanden vor dir hast, der von sich glaubt, er sei ungeheuer witzig und beherrsche das Metier aus dem Effeff, nehme ich mich zurück, um ihn glänzen zu lassen. Aber wenn da jemand sitzt, der überhaupt nicht auf das Pingpong-Spiel eingeht, diesen Flirt … Welchen Flirt? Ich meine nicht nur die Spannung zwischen Mann und Frau, sondern auch zwischen zwei Männern, zwischen Alt und Jung. Ein Knistern, das gar nicht erotisch sein muss. Es ist etwas Unausgesprochenes, eine gemeinsame Ebene, die etwas Leichtes hat. Wie guter Small Talk? Die Kunst des Small Talks wird bei uns viel zu wenig gewürdigt. Das hat nichts damit zu tun, nur übers Wetter zu plaudern. Gerade beim Kennenlernen, in der Aufwärmphase kann Small Talk wertvoll sein, um eine schöne Atmosphäre zu schaffen. Er gibt dem Menschen die Gelegenheit, gern darüber zu reden, worüber er reden möchte! Gib doch bitte mal ein Beispiel. Roger Willemsen war für mich der weltbeste Small Talker oder zumindest der großartigste Talker im deutschen Sprachraum. Und Annette Frier, sehr schlagfertig, sehr witzig. Alfred Biolek war in seiner jovialen, amüsanten Art ein begnadeter Interviewer. Er hat den Leuten damit mehr entlockt als Michel Friedman oder Frank Plasberg je erfahren werden. Das ist ein guter Moment, um nach Starallüren zu fragen. Habe ich keine, es kennt ja auch kaum jemand mein Gesicht. Radio-Prominenz ist deshalb sehr angenehm. Immer erkannt zu werden, halte ich für ein Schicksal. Schicksal, das Wort fällt in deinen Gesprächen oft … … weil ich Agnostiker bin. Kein gläubiger Mensch, aber ich habe oft das Gespür, dass es mehr gibt zwischen Erde und Himmel, als wir sehen. Da gibt es bei mir sicherlich eine Sehnsucht nach dem, was man Glauben nennt. Was ja oft als Thema in den Interviews aufblitzt. Wenn man die Augen aufmacht und sich umsieht, kann man nicht glauben, dass es einen Allmächtigen gibt, der sich das alles nur anschaut und sagt: Ihr habt ja die freie Wahl! Und hat sich dieser Blick durch die Familie, das Vatersein von zwei Kindern noch verstärkt? Die Kunst des Small Talks wird bei uns viel zu wenig gewürdigt. Dabei geht es um Atmosphäre. www.seemagazin.de | SeeMagazin 2016 29