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SeeMagazin 2018

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  • Starnberg
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„Entspannt am See!" lautet das Motto der Ausgabe 2018. Wie das am besten gelingt, wollen wir mit besonderen Geschichten und Insider-Tipps aus der Region zeigen. Auch dieses Mal hat die Redaktion wieder viele interessante und kreative Persönlichkeiten rund um die Seen getroffen.

SeeMensch all. Auch

SeeMensch all. Auch diese völlig überflüssigen SUVs, Cayennes und Range Rover. Noch ist er aber spürbar, der Geist des Bauernufers. Es gibt immer noch viele Künstler hier und viel Kunsthandwerk. Und: Es wird ordentlich gekifft, was ich immer für ein gutes Zeichen halte in Bezug auf den Geisteszustand einer Population. Was unterscheidet den Ammersee vom Starnberger See? Wir haben hier eine sehr begrenzte Zahl an Motorbootlizenzen, für die Fischer und die Wasserwacht. Es gibt auch keine neuen Lizenzen mehr. Wer sich also am Ammersee ein Boot holen will, muss elektrisch fahren. Das finde ich schon mal großartig. Zum Glück gibt es hier in der Umgebung noch Bauernhöfe und einen der ältesten Bioläden Deutschlands. Ich habe den Eindruck, die Menschen am Ammersee haben mehr Gespür für Land und Natur und dafür, was die Natur abwirft. Es wurde hier im Dorf mal kurz diskutiert, ob wir einen Lidl reinlassen. Das wurde sehr schnell abgelehnt, diese Idee. Wir haben hier in Utting einen grünen Bürgermeister und mehr als 50 Prozent Grün-Wähler. Und das im Seehofer-und - Söder-Land! Und Sie? Keine Lust, sich politisch zu engagieren? Ich bin Mitglied der Grünen. Jeden ersten Dienstag im Monat tagt der Ortsverband. Da bin ich ab und zu dabei. Das sind großartige Leute: von der pensionierten SZ- Journalistin über den Zimmermann, der so derb bayerisch redet, dass ich ihn kaum verstehe, bis zum Unternehmensberater aus dem Ruhrgebiet. Eine erstaunliche Truppe. Von denen vermutlich die meisten irgendwie kochen können. Gut unterrichtete Kreise berichten, Sie haben hier in Ihrer Küche außer Kaffee in zehn Jahren noch nie irgendwas gekocht. Zumindest noch keine warme Mahlzeit, das stimmt. Liegt an mangelndem Talent und Spätschäden meiner Theaterkarriere. Mal ganz abgesehen davon, dass da, wo ich aufgewachsen bin, Männer in der Küche nix verloren hatten. Meine Oma war sehr dominant. In ihrem Matriarchat durfte ich erst in die Küche, wenn gespült werden musste. Aber meine Kaffee-Pads hier am See sind immerhin bio und Fairtrade, ich kann sie also auf dem Komposthaufen meiner Vermieter entsorgen. Ansonsten habe ich hier in Utting einen wunderbaren Ernährungsparcours: zum Frühstück der Biomarkt, tagsüber eine Thai-Lounge, abends ein Italiener namens „Pinello“. Das ist mein Wohnzimmer. Der Besitzer kommt aus Pescara, das ist beste Mamma-Küche. Hervorragende Weine und den besten Kaffee, den ich kenne. Der fährt extra zu einer kleinen Rösterei in der Lombardei. Großartig! Als Vegetarier entgehen Ihnen da aber vermutlich einige Gerichte, oder? Das ist bei Italienern gar kein Problem. Und das Schöne ist: Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben mit einer Frau zusammen, die auch Vegetarierin ist. Vorher durfte ich immer zugucken, wie meine besseren Hälften Medium-Rare-Steaks verzehrt haben. Das war gewöhnungsbedürftig. Es gibt doch wahrscheinlich kaum einen Moment in Ihrem Leben, in dem Ihnen in Ihrer Freizeit einfach mal alles egal ist, oder? Doch, wenn ich surfe oder Motorrad fahre, ist mir so ziemlich alles wurscht. Manchmal bin ich ein, zwei Wochen in Surfcamps, in denen es nicht mal Strom gibt, dafür aber Wellen. Besser wird’s nicht. Ärgert es Sie eigentlich, wenn man Sie für einen „Gutmenschen“ hält? Überhaupt nicht. Ich glaube, unsere Sprachkultur ist die einzige weltweit, die es geschafft hat, lieber über gute Menschen zu schimpfen als über schlechte. Das ist die deutsche Seele. Aha. Und was macht diese Seele dann aus? Missgunst, Neid, Skepsis, Innovationsfeindlichkeit, Mangel an Neugier, Gleichmacherei, Bequemlichkeit. Ich glaube, wir Deutschen sind ein Volk von enttäuschten Utopisten. Alle großen Entwürfe der Weltgeschichte kommen aus Deutschland: Aufklärung, Romantik, Kommunismus, Sozialismus, Nationalsozialismus. Alle diese Utopien wurden enttäuscht. Und wenn man so oft enttäuscht wird als Volk der Dichter und Denker und noch dazu zwei Weltkriege anzettelt und verliert, dann muss man sich davon offenbar erst mal erholen und macht aus lauter Frust lieber andere nieder. Aber Sie kämpfen doch pausenlos für die Utopie einer besseren Welt. Tun Sie als Aktivist genug oder tun Sie zu wenig? Fragen Sie mal meine Mutter oder meine bessere Hälfte. Die glauben alle, ich sei völlig durchgeknallt, tanze auf viel zu vielen Baustellen rum, um Weltrettung zu betreiben. Ich selber denke immer, ich tue bei Weitem nicht genug, aber ich tue eben, was ich kann. 40

SeeMensch Macht gesellschaftliches Engagement süchtig? Süchtig ist das falsche Wort, es macht zufrieden. Ich gehe abends zufriedener ins Bett als viele Menschen, die ich kenne. Kleines Beispiel: Die älteste Hilfsorganisation in Deutschland ist die Christoffel-Blindenmission, die 30 Euro braucht, um mit einer Augenoperation ein durch Mangelernährung erblindetes Kind sehend zu machen. Beim RTL-Spendenmarathon haben wir dafür eine Million Euro gesammelt. Das sind mehr als 33 000 Operationen. Wir haben außerdem geholfen, dass 3500 tibetische Flüchtlingskinder eine Unterkunft haben, zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen können und genug zu essen haben. So was zu stemmen, macht einfach Spaß. Hier das gemütliche Sofa, da Buddha-Figuren und Gebetsfahnen – vom Dalai Lama persönlich geweiht. Hannes Jaenickes Wohnung wirkt wie eine heile Welt »Ich selber denke immer, ich tue bei Weitem nicht genug« Hannes Jaenicke über seine Umwelt-Engagements Sie haben schon einige erfolgreiche Bücher geschrieben, mit prägnanten Titeln wie „Wut allein reicht nicht“, „Die große Volksverarsche“ oder „Wer der Herde folgt, sieht nur Ärsche“. Wie gelingt Ihnen das Leben in einem CSU-regierten Land wie Bayern? Wenn man die Politik ignoriert, ist Bayern das schönste Bundesland der Republik, ohne jeden Zweifel. Wenn nicht, ist es manchmal schwer, hier zu leben, aber diese Kröte muss man halt schlucken, wenn man es schön haben will. Ich war schon als Schüler vorübergehend in einem Regensburger Gymnasium, und mein Partner bei den Umweltdokus, einer meiner besten Freunde, ist echter Bayer. Außerdem bin ich wahrscheinlich der größte lebende Gerhard-Polt-Fan. Ich liebe das bayerische Kabarett. Und mit ECM kommt das beste Jazz-Label der Welt aus München - Pasing. Bayern bietet zum Glück mehr als nur CSU und Weißwurst-Operette. Wer macht Ihnen das Leben schwerer, Horst Seehofer oder Markus Söder? Ich kenne Söder besser als Seehofer, aus seiner Zeit als Umweltminister. Der ist intelligent, ehrgeizig, weniger plump und populistisch als Seehofer. Söder hört zu, weiß viel und ist fleißig. Mit Söder ist hoffentlich mehr Umweltpolitik zu machen als mit seinem Vorgänger. Aber beide verbindet ein Megathema – Flüchtlinge. Ich finde den Umgang mit dem Thema traurig. Glauben Sie wirklich, wir kommen hierzulande noch ohne Migranten und Flüchtlinge zurecht? Meine Schwester ist Krankenschwester. Im Pflegebereich fehlen 350 000 Arbeitskräfte. Mal ganz ehrlich: Sollen die alle noch geboren werden? Wo kriegen wir die her? Warum geht keiner mal in ein Flüchtlingslager und fragt: „Wer hat einen Erste- Hilfe -Schein? Wer hat Bock auf einen Schnellkurs in 41