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SeeMagazin 2012

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Im SeeMagazin berichten wir einmal jährlich von besonderen Menschen und Orten aus dem Fünf-Seen-Land. Ein Projekt, das uns schon fast 10 Jahre begleitet und immer wieder begeistert.

AUTOREN ExTRA /

AUTOREN ExTRA / Jubiläum Aber nun waren sie verheiratet, Sylvia und Johann, und hatten aus dem Kiosk ein schmuckes, kleines Restaurant gemacht. Während Alex vom Semmel-Gondoliere zum Eisbaron aufgestiegen war. Rot blitzte es vom dach des Restaurants herüber. Rot? die Farbe der Liebe? Wollte Sylvia wieder etwas von ihm? Alexander hatte vorsichtig seinen Feldstecher geholt und spähte hinüber, wobei er vermied, den Laserstrahl direkt anzusehen. Es war Montag, heute hatte das Restaurant geschlossen, vielleicht war es gar keine schlechte Idee, Sylvia zu besuchen. Ein Klingeln an der Tür riss ihn aus seinen Träumen. der Postbote stand da und rollte verlegen mit den Augen. »Schon wieder?«, fragte Alexander. der Bote nickte nur und überreichte ihm ein leeres, flaches Päckchen. Ein Milchpäckchen. Ordnungsgemäß abgestempelt, im Postamt 83646 Bad Tölz. Als Absender stand wie immer B. Bauer, Bergbauernweg 1, Tölz auf dem Paket. »Wieso verschickt einer aus Bad Tölz ein Päckchen mit holländischer H-Milch?«, fragte der Postbote noch, da hatte sich Alexander schon umgedreht und die Tür zugeknallt. Ist es cool, Gen-Milch als Bio-Milch zu verkaufen? Nein, es ist tödlich. Es war ein strahlend sonniger Tag. der erste nach einer Woche Nebel. Vorsichtig betrat Wondrak die Eisfläche. »Sie brauchen keine Angst haben, Herr Kommissar, der See ist bis zum Boden zugefroren!«, begrüßte ihn Schallinger, ein junger Polizist aus Penzberg. »Sehr witzig. der See ist bekanntlich 120 Meter tief.« »Ja, aber nicht hier. Hier ist er nur so tief, wie das Eis dick ist. Einen halben Meter.« Wondrak ging auf den steifgefrorenen Körper zu. »Aha. Und wen haben wir hier?« »Alexander Schnitzer, den Eisbaron von Seeshaupt.« Wondrak runzelte die Stirn. »Eisbaron? Ihr Humor ist erfrischend. Mir vergeht der Spaß immer, wenn ich mich auf Eis bewege. Egal, ob auf dickem oder dünnem Eis.« »Sie kennen den Eis-Alex nicht? da entgeht Ihnen was. Oder besser gesagt: da ist Ihnen etwas entgangen. der macht doch das beste Eis weit und breit! Kein Witz!« Wondrak rieb seine behandschuhten Hände aneinander. Eher eine Geste der Verlegenheit, als der Wärmeerzeugung. »Oh, eine Bildungslücke«, gestand er. Man muss sich die Bühne für dieses kriminalistische Fachgespräch so vorstellen: Am Himmel: eine strahlende Sonne auf blauem Winterhimmel. Am Boden: eine dunkle, glatte Eisfläche. Am Ufer: das rot-weiße Absperrband der Polizei. dahinter: die vom Lokalradio angelockte gaffende Menge. davor: Kommissar Wondrak und der junge Polizist Schallinger. Im Mittelpunkt: eine steifgefrorene Leiche, die auf einem Strohballen sitzt und auf den See hinausschaut. Geknebelt. Mit nackten Füßen. Bis zu den Knöcheln im Eis festgefroren. »Wie kriegen wir den vor dem nächsten Frühling wieder raus?« »Ich hab schon die Feuerwehr angefordert, wenn die Spurensicherung weg ist, können sie ihn mit der Heizkanone auftauen.« »Gut. Aber frag lieber vorher bei der Gerichtsmedizin nach, ob die was dagegen haben, wenn wir ihn grillen.« »Okay«, meinte Schallinger, der das offensichtlich für einen berechtigten Einwand hielt und sein Telefon zückte. Wondrak kniete sich neben den Toten hin und untersuchte das Eis. »Wieso ist denn das so weiß?« Rund um den Toten war ein etwa zwei Meter großer Fleck, kreisrund und milchig-weiß. »Sieht aus, als würde der Eisbaron im Milchsee sitzen.« der Hof war ganz einfach zu finden. Er war gut ausgeschildert. Je näher man kam, umso höher wurde die Schilderdichte. ›Gute Preise für gute Milch!‹ ›Stirbt der Milchbauer, stirbt das Land!‹ ›20 cent sind zu wenig!‹ der Bauer Naglinger war im ganzen Land bekannt für seinen Kampf um einen fairen Milchpreis. Im vergangenen Sommer hatte er gemeinsam mit anderen Bauernkriegern ein paar Millionen Liter Milch mit Gülleanhängern auf den Feldern verteilt. danach war er nach Brüssel gereist, hatte vor dem Gebäude der EU-Kommission einen Scheiterhaufen errichtet und ihn dann mit Milch gelöscht. Mit symbolträchtigen Inszenierungen kannte er sich aus. »Herr Naglinger, wo waren Sie vorgestern Abend?«, fragte Wondrak. »da war ich ab sieben bei der Vereinssitzung. Ab zwölf bei meiner Frau im Bett und ab 5 Uhr morgens im Stall. Fragen Sie meine Kühe.« »Kennen Sie den Alexander Schnitzer aus Seeshaupt?« »den Eis-Alex, den Eiszapfen, den traurigen? Ja, klar. Aber meinen Sie, dass ich oder irgendwer anderer den Bauern kennt, von dem der seine Bio-Milch hat? Naa! der sitzt nämlich in Italien oder Holland. Und schreibt Bio auf seine Industriedrecksmilch drauf, die er sich billig irgendwo zusammenkauft.« »Reicht das als Mordmotiv?«, fragte Wondrak geradeheraus. Naglinger grinste Wondrak entspannt an: »Mord – geh, Herr Kommissar! Meine Hochachtung vor der Kreatur schließt nicht nur Kühe und Schweine, sondern auch Milchpanscher, Wirtschaftskriminelle und andere Arschlöcher ein.« »Kann sein. Aber jetzt sind wir schon hier, da ist der durchsuchungsbeschluss, wir schauen uns mal um, vielleicht finden wir ja einen Strohhalm, der in unser dNA-Puzzlespiel passt.« Nichts passte in irgendein Puzzlespiel. Weder Naglinger noch Johann oder Sylvia noch sonst jemandem war das Geringste nachzuweisen. das Milcheis, das Eis-Alex festgehalten hatte, bis er erfroren war, bestand aus billigster Supermarktmilch, so viel hatten die Spurensicherer herausgefunden. Alexander Schnitzer war betäubt worden, danach hatte man ein Loch ins Eis geschlagen, seine nackten Füße hineingestellt, Milch hineingegossen, ihn auf den Strohballen gebunden und gewartet, bis er festgefroren war. Mindestens zwei Täter hatte es dafür gebraucht, vermuteten die Ermittler. Und von keinem der zwei oder drei Milchmörder war auch nur die kleinste Spur zu entdecken. 34 SeeMagazin 2012 | www.seemagazin.de

Das Milcheis hatte sich längst in den Fluten des Sees aufgelöst als bei den Privatadressen der zehn größten Milchbarone Europas zeitgleich eine E-Mail einging. Es war eine Nachtaufnahme von dem barfüßigen, tiefgekühlten Alex auf dem Eis vor der Robinson-Insel, losgeschickt aus einem Internetcafé in Tutzing. Mit der unmissverständlichen Botschaft versehen: ›Ist es cool, Gen-Milch als Bio-Milch zu verkaufen? Nein, es ist tödlich.‹ Unterschrieben war die Mail mit: ›M.I.L.K Militante Internationale Laktotische Kampftruppe‹ Wie bedrohlich dieses knappe Schreiben wirklich war, zeigte sich erst, als die aufgeschreckten Milchbarone die jeweiligen Sicherheitsdienste ihrer Länder eingeschaltet hatten. Denn bei der elektronischen Spurensuche nach dem Absender der Mail, entdeckte jeder eine verräterische, kleine digitale Signatur im Foto, die scheinbar unbeabsichtigt den Besitzer der Kamera oder zumindest ihren Standort verriet. Es dauerte nicht lange, da hatte jeder Milchbaron seinen ärgsten Konkurrenten in Verdacht. Und bei Kommissar Wondrak stand das Telefon nicht mehr still. »Das versteh ich nicht«, sagte Wondrak in einer Telefonpause zu Nick, dem Computerspezialisten im Kommissariat, »hat sich der holländische Milchbaron erst unseren Seeshaupter Eisfabrikanten vorgeknöpft und nun terrorisiert er mit dem Foto des Toten seinen deutschen Konkurrenten, oder wie muss ich mir das vorstellen?« »Zumindest soll der deutsche Milchbaron glauben, dass ihn der Holländer terrorisiert. Aber der Holländer fühlt sich ja genauso bedroht.« »Von wem?«, fragte Wondrak. Nick blickte auf einen kleinen Netzplan mit zehn Namen und 20 Pfeilen, den er sich gezeichnet hatte. »Jeder Milchbaron hat auf seinem Foto eine andere Signatur. Sie ist nur von Experten zu finden. Und sie sieht aus, als hätte jemand versucht, die Signatur zu löschen, das ist wirklich kunstvoll gebaut. Deshalb fühlt sich nun der Holländer vom Österreicher bedroht, der Italiener vom Belgier, der Belgier vom Franzosen und so weiter. Respekt, das war richtig viel Arbeit. Und deshalb sind auch alle drauf reingefallen.« »Raffiniert. Und wozu? Um die Milchpanscher vom Panschen abzuhalten?« Nick hob den Becher Buttermilch, aus dem er gerade einen Schluck getrunken hatte, vor seine Augen und blickte ihn nachdenklich an. ›Bio Buttermilch‹ stand drauf. Wenn’s kompliziert wird, stellte Wondrak immer die einfachste Frage: »Wem nützt’s?« Wondrak hob den Telefonhörer ab, um seinen Chef anzurufen. »Servus Stürmer, in der Mordsache Alexander Schnitzer brauchen wir noch ein bisschen Zeit.« »Wie lange?« »Ein Jahr vermutlich.« Gut zwölf Monate später saß ihm Viktor Eliasson gegenüber, der Chef der Bio-Regiomilch AG aus Bad Tölz. Er war als Sieger einer erbitterten europäischen Milch-Übernahmeschlacht hervorgegangen. Während die meisten anderen Milchbarone (vielleicht unter dem Eindruck einer mysteriösen E-Mail?) ihre Kapazitäten verringert und sich einen Qualitätskurs verordnet hatten, konnte Eliasson die freiwerdenden Milch-Kapazitäten in ganz Europa aufkaufen. Mit der idyllischen grünweißen Verpackung, die bayrische Voralpenmilch suggerierte, hatte er den Preiskampf daraufhin so verschärft, dass seine Konkurrenten nicht mehr mithalten konnten. Zwei von ihnen hatte Eliasson bereits aufgekauft. Aus diesem Grund kam ihm Wondrak auf die Spur. Erst fängt man die Hand, dann den Kopf. Zuerst hatte der IT-Experte, der die E-Mails für ihn präpariert und verschickt hatte, im Rahmen eines Zeugenschutzprogrammes alles erzählt. Und jetzt war also Eliasson dran. »Warum ausgerechnet Alexander Schnitzer?«, fragte Wondrak. Eliasson wurde nun seit sechs Stunden ununterbrochen verhört. Nach vier Stunden hatte sein Anwalt zwar gesundheitliche Bedenken geäußert, doch Wondrak hatte schmunzelnd abgewunken. Mit Hinweis auf einen Artikel in einer Wirtschaftszeitung, in der Eliasson als konditionsstarker Verhandler gefeiert wurde, der seine Gegner schon mal neun Stunden nonstop am Sitzungstisch festhielt. Viktor Eliasson war müde. Er ließ seinen Blick aus dem Fenster gleiten. »Es ist lange her. Acht oder neun Jahre. Wir waren zum Segeln auf dem Starnberger See. Ich hatte Gäste. Uns war der Prosecco ausgegangen und da sind wir zu diesem kleinen Boot mit dem Sonnenschirm gefahren und wollten ihm was abkaufen. Und da sagte der junge Mistkerl nur frech: ›An Schiffe über zwölf Meter mit eigenem Kühlschrank verkaufe ich prinzipiell nichts.‹« ONO MOTHWURF Seine Krimis tragen Titel wie „Taubendreck“ oder „Werbevoodoo“ und beweisen neben Spannung und Lokalkolorit, dass Ono Mothwurf als Autor nicht im Wolkenkuckucksheim sitzt, sondern mitten im modernen Leben. Der Österreicher, 1963 in Traun geboren, studierte an der Fachschule für Wirtschaftswerbung in Wien, arbeitete als Redakteur beim SURF-Magazin und als Texter für verschiedene Werbeagenturen. Außerdem ist er Mitglied im Art Directors Club Deutschland. Mit seiner Frau und drei Söhnen lebt er im Landkreis Starnberg. Beide oben genannten Krimis und die Kurzgeschichte aus der Sammlung „Tod am Starnberger See“, herausgegeben von Sabine Thomas, sind im Gmeiner-Verlag erschienen. www.seemagazin.de | SeeMagazin 2012 35