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FOCUS STYLE – Mai 2018

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FOCUS STYLE – die beiden ersten Ausgaben erzielten als Supplements mit dem FOCUS die besten Einzelverkaufsergebnisse des Jahres 2017. Nun ist die dritte Ausgabe (Mai 2018) mit Titelstar Nico Rosberg erschienen. Auch dieses Heft zeigt sich kosmopolitisch und bietet angesagte und informative Lifestyle-Themen. 

WAS IST EIGENTLICH

WAS IST EIGENTLICH NACHHALTIGE MODE ? ILLUSTRATION: JÖRN KASPUHL 18 FOCUS STYLE

GUIDE HOW TO Muss Mode schön sein oder nachhaltig? Oder ist schon die Fragestellung falsch? Und was bedeutet das alles überhaupt? Fragt sich unser Autor. TEXT GORDON DETELS ILLUSTRATION JÖRN KASPUHL D er Begriff „Nachhaltigkeit“ ist auf dem besten Weg, zu „Despacito“ zu werden. Dem Song, den man irgendwann nicht mehr hören konnte weil es kein Entrinnen vor ihm gab. Denn: Im gleichen Maße wie der weltweite CO 2 -Ausstoß steigt, wächst exponentiell die Anzahl (angeblich) nachhaltiger Produkte. Egal, ob Käse, Creme oder Einkaufstüte, alles muss heute nachhaltig sein in der Herstellung oder in der Wirkung. Und im Idealfall führt man am besten gleich ein komplett nachhaltiges Leben. Klar, dass sich auch die Modeindustrie, die zu den größten Industrien und den großen Umweltsündern gehört (Sie wissen, Tausende Liter Wasser für ein T-Shirt), der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Mit dem Aufkommen der sogenannten LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) fing es an. Dieser um 2000 herum ausgemachten Zielgruppe war bewusster Konsum wichtig auch in der Mode. Mit der Tragödie, die sich 2013 in Bangladesch ereignete, als eine baufällige Textilfabrik in sich zusammenstürzte und mehr als 1000 Menschen unter sich begrub, kam das Thema Nachhaltigkeit in anderer Form auch in der Breite der Bevölkerung an. Die Betreiber der Fabrik gingen in die Offen sive, erklärten, sie würden fortan nachhaltig produzieren. Und zeigten damit das Dilemma des Begriffes auf: Er ist weich wie ein kuscheliger Pullover. Im Falle von Bangladesch bedeutete Nachhaltigkeit nur, dass die Näherinnen dort nicht mehr menschenunwürdig arbeiten sollten. Aha. Daneben gibt es unzählige andere Zuordnungen des Begriffs: zur Herstellung der Zutat eines T-Shirts, zum Beispiel. (Wobei erlaubt sein sollte anzumerken, dass auch Biobaumwolle viel Wasser benötigt und unter menschenunwürdigen Bedingungen verarbeitet werden kann.) Auf der anderen Seite gibt es Luxuskonzerne wie Kering (unter anderem Gucci, Bottega Veneta, Balenciaga), die bis 2025 ihren Kohlendioxidausstoß um 50 Prozent reduzieren wollen. Bei Levi’s wiederum werden Jeans bald nicht mehr mit Chemie, sondern mit einem Laser auf den „Used Look“ getrimmt und, wie auch bei Nudie, später in eini- gen der eigenen Läden kostenlos repariert. Nachhaltig (na, nervt Sie das Wort bereits?) kann ein Produkt aber auch sein, wenn es aus einem nicht nachhaltig produzierten Produkt besteht: Aus alten Kleidern neue zu machen, nennt sich Upcycling. So wie die Kollek tion von Viktor & Rolf, die diese aus Altkleidern für Zalando produzierten. Dann gibt es, natürlich, Mode aus PET-Flaschen oder Fischernetzen, vegane Entwürfe von Stella McCartney oder gar Firmen, die T-Shirts nähen lassen, die sich nach wenigen Wochen auf dem Komposthaufen zersetzen. Die Liste könnte man endlos fortsetzen. Sie sehen: Irgendwie nachhaltige Mode gibt es irgendwie überall und irgendwie von jedem. Und: Das ist gut so (als Anfang). Und: Ja hier geht es ja um Style klar sieht nachhaltige Mode gut aus. Man muss längst nicht mehr in Jutesäcken rumlaufen, um die Welt zu retten. Das eigentliche Problem nachhaltiger Mode ist: die Mode, die Masse. Jeder Deutsche kauft im Schnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr. Laut dem Report „Pulse of Fashion Industry“ soll der Konsum von Textilien bis 2030 nochmals um über 60 Prozent zunehmen. Nur: Laut einer Umfrage aus Schweden tragen sieben von zehn Befragten nur 50 Prozent dessen, was im Schrank hängt. Das Ergebnis: Die Produktion von Textilien hat sich zwischen 2000 und 2015 verdoppelt. Über 100 Milliarden Kleidungsstücke werden pro Jahr hergestellt. Dass die Menschheit in dieser Zeit nicht in der Größenordnung gewachsen ist, dürfte auf der Hand liegen. Man braucht so viel Mode und wir reden hier nicht nur von Fast-Fashion-Labels, auch High-Fashion-Labels haben immer mehr Zweitlinien , weil die Menschen sie wegwerfen. Weil Mode heute oft günstig, meist kurzlebig, nicht selten seelenlos oder alles davon ist. Was den Konsumenten dazu treibt, das vor wenigen Wochen Geshoppte auf Nimmerwiedersehen in den Schrank zu hängen (oder in die Tonne zu werfen). Dabei geht es längst anders: Beim skandinavischen Label Filippa K können Kunden in ausgewählten Filialen Teile der neuen Kollektion leihen, statt sie zu kaufen. Markenunabhängig bieten dies auch Portale wie die Kleiderei.com an, um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen. Noch nachhaltiger aber ist dieser Ansatz: statt „nur“ nachhaltige Mode zu tragen, Mode einfach nachhaltig zu tragen, nicht der „Versuchung des nächsten billigen Fummels zu erliegen“, wie es die Textilexpertin Kirsten Brodde von Greenpeace treffend formuliert. Was das heißt: ein Stück mal fünf Saisons statt nur fünf Wochen anzuziehen. Und nein, es muss nicht Secondhand, nicht Upcycling, meiner Meinung nach noch nicht einmal nachhaltig produziert sein. Nachhaltig getragene Kleidung sollte ruhig neu, darf teuer und kann konventionell hergestellt sein. Hauptsache, sie ist ein bewusster, täglicher und vor allem lang andauernder Genuss. Aber: bitte nicht darüber reden. Sie wissen schon, „Despacito“. Gordon Detels, 40, war fünf Jahre Redaktionsleiter des Stil-Magazins „GQ Style“. FOCUS STYLE 19